March 9, 2021 at 2:09 PM - Posts: Schmetterlingssammler - Teil I, Title: Chat-Room
Hallo zusammen!
Hier spricht, wie man unschwer an meinem Benutzernamen sehen kann, Sven aus Kassel. Und säße ich jetzt zusammen mit anderen auf Stühlen in einem Kreis würde ich sagen: „… und ich sammle Schmetterlinge.“ Die Reaktionen wären wahrscheinlich sehr unterschiedlich….
Im Folgenden möchte ich erzählen. Ich folge dabei einem spontanen Impuls. Gleich vorweg möchte ich eines sagen…
Disclaimer I: dieser Artikel wird wahrscheinlich einige Antworten nach sich ziehen, doch steht mir nicht der Sinn danach, mich für irgendetwas zu rechtfertigen. Ich möchte auch nicht diskutieren. Nicht, weil ich nicht prinzipiell dazu nicht bereit wäre, sondern weil ich Diskussionen im Internet für wenig fruchtbar halte. Fast immer endet das in einem Desaster aus Meinungsgefechten, Beschimpfungen, Rechthabereien etc. Das ist nervtötend, bringt niemanden weiter und frisst unglaublich viel Zeit, die mir dafür zu Schade ist. Hingegen viel interessanter finde ich es, den Erzählungen anderer zu lauschen, ohne das zu bewerten oder zu kommentieren. In diesem Sinne gebe ich hier eine Vorlage, bitte darum, es in keiner Weise persönlich zu nehmen, wenn ich auf Antworten nicht weiter reagiere und würde mich stattdessen sehr darüber freuen, von Euch zu lesen, warum Ihr Euch für Schmetterlinge interessiert.
Disclaimer II: Alles, was ich tue, ist legal. Ich habe eine Genehmigung dafür.
Das Handwerk
Ich habe mit dem Schmetterlingesammeln angefangen, da war ich sieben. Schuld daran war ein neu hinzugestoßenes Familienmitglied. Mein erster Kescher bestand aus einer Holzleiste mit einer Plastiktüte. Mein erster Fang war ein Hauhechel-Bläuling auf dem Hof. Sehr früh zeigte ich außerordentliches Geschick im Präparieren von Faltern. Diese standen den Präparaten von Erwachsenen in nichts nach. Eher im Gegenteil (damals brauchte ich auch noch keine Lupenbrille). Präparationswerkzeuge dabei waren eine Steckplatte aus Styropor, Stecknadeln und Streifen aus handelsüblichem Druckerpapier. Ich entwickelte dabei meine eigenen Techniken, auf die ich noch heute bei dem ein oder anderen schwer zu präparierenden Falter zurückgreife. Auch ich stach nicht einfach in die Flügel. Ich zog sie aber auch nicht. Ich hebelte sie, sodass regelmäßig ein Teil des Flügels am Hebelpunkt umklappte. Dann fixierte ich mit einem Hilfsstreifen den Flügel am Apex, zog den Hebel (eine Stecknadel) zurück, sodass der Flügel wieder zurückklappte, fixierte den Flügel mit einem Streifen und entfernte dann wieder den Hilfsstreifen. Zugute kam mir dabei die raue Oberfläche von Styropor, auf der die Flügel bei weitem nicht so leicht rutschen wie auf Spannbrettern aus Holz. Bei einem so genadelten Braunem Bär zählte ich beispielsweise abschließend über 40 Stecknadeln und ein Dutzend Papierstreifen, die ich oft den Erfordernissen entsprechend zurecht schnitt, ein Schnipselwerk aus verschiedensten geometrischen Formen. „Hier“, und er blickte im Stuhlkreis zu den anderen Teilnehmern auf, nachdem er vorher in Erinnerung verloren auf den Boden geblickt hatte, “ist dann auch der erste Grund dafür zu suchen, warum ich Schmetterlinge sammele.“... Denn ich mag dieses Handwerk. Kleine, frickelige Dinge, denen man mit äußerster Behutsamkeit, Geschick und Geduld zu Leibe rücken muss. Die Konzentration dabei, die zen-meditativ anmutet. Die Präzision, die man an den Tag legen muss, um den eigenen Ansprüchen an Perfektion gerecht zu werden. Das Gefühl des Gelingens, wenn man es geschafft hat, etwa Dickkopffalter, kleinste Falter oder andere schwierige Kandidaten erfolgreich gespannt zu haben – manchmal erleichternd schnaufend, als hätte man schwerarbeit geleistet.
„Danke, dass du diese Erfahrung mit uns geteilt hast, Sven“, sagte der hagere, in dunkelgrünem Pulli und mit hellbrauner Cordhose gekleidete Mann, auf dessen Nase eine kleine, runde Brille saß. „Möchtest du uns noch mehr erzählen oder ist das Handwerk der einzige Grund für dein Hobby?“…
Die Jagd
Nein, natürlich nicht. Dann hätte ich auch Uhrmacher werden können (eine ebenso aussterbende Spezies wie die der Schmetterlingssammler). Doch Geschick braucht man nicht nur beim Präparieren. Man braucht es auch auf der Jagd. Wie wohl jeder weiß, der schon einmal nach drei, vier Fehlschlägen und einem 200 m Sprint endlich den eleganten, gewandten Flieger im Kescher hatte. Oder ihn hat in den Baumwipfeln verschwinden sehen. Ob es jetzt das biologische Erbe der Evolution ist, projizierte Todessehnsucht, schlichter Hunger oder einfach eine, vorwiegend männliche, Macke, gepaart Großwildjägerwahn… Es geht nichts über eine gute Jagd (diese bezieht sich bei mir allerdings nur auf Flatterhaftes. Ansonsten bin ich Vegetarier)! Erspähen, Auf-der-Lauer-Liegen, Ranpirschen, im richtigen Moment zuschlagen (bloß nicht drüber nachdenken!) und – wenn man noch kann – dabei alle sonstigen Hindernisse beflissentlich ignorieren (wozu auch moralisierende Sonntagsausflügler zählen): das sind die großen Momente einer erfüllten und erfüllenden Jagd – selbst, wenn man daneben haut. Ebenso das „Schmetterlingeangeln“ bei Nacht. Das Warten. Die Ruhe. Das beschauliche Flackern der UV-Lampe, dessen Licht sich wie eine Raupe vorwärtsnagend an der Netzhaut zu schaffen macht oder das romantische Rauschen einer guten, alten Petromax (mit der Ruhe ist es dann allerdings vorbei). Auch das ist Jagd. Das stille, geduldige Warten, das Fallenstellen und gelegentliche Überprüfen, ob was ans (und nicht ins) Netz, in die Falle gegangen ist. Beides – die Bewegung und das Geschick der aktiven Jagd und das stille, passive Verharren der Dinge, die da geflogen kommen – ist etwas, das mich glücklich macht. Und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beidem führt ganz nebenbei zu einer guten Figur.
Abenteuerlust
Dem Jagdfieber verwandt sind die kleinen und großen Abenteuer, die sich Exkursionen, ebenfalls kleinen und großen, gelegentlich anschließen. Wenn ich der Wildsau mit ihren Frischlingen mitten im Wald gedenke – mein Hund instinktsicher hinter einem umgefallenen Baumstamm sich versteckend, ich 20 Minuten lang reglos daneben stehend… oder daran, wie ich mit schwerem Gepäck in einer tropischen Nacht in einem europäischen Wald für Stunden völlig orientierungslos auf der Suche nach dem Auto durch den Wald irrte, während die Trinkwasservorräte sich dem Ende entgegen neigten und wir vom Berg ins Tal latschen mussten, dann Kilometer entlang an der Landstraße und dann wieder den ganzen Berg rauf, damit ich und meine schon ins Alter gekommene Hündin wieder zum Parkplatz zurück fanden – ja, dann habe ich was zu erzählen und erinnert mich jeder Falter dieser Nacht an dieses strapaziöse Abenteuer. Aber auch, wenn ich daran denke, wie ich als Kind meine US-Army-Tasche packte, über Mauern kletterte, in Kellern mit der Taschenlampe forschte und mich durch zahlreiche Brennnesselbestände schlug und Brombeerstrünke kämpfte, packt mich noch heute die Abenteuerlust und die Vorfreude bei den Exkursionsvorbereitungen auf die bevorstehenden Erlebnisse. Exkursionen gleichen kleinen Expeditionen. Und diese wollen gut vorbereitet sein, nichts darf dem Vergessen anheimgestellt bleiben, alles will durchdacht und geplant sein, damit man dem Restrisok, dem Unwägbaren und Unwegbaren unerschrocken gegenüber treten kann (statt sich zu verirren z.Bsp.). Auch das bildet einen unentbehrlichen Aspekt meiner Sammelleidenschaft: Die Planung einer Exkursion, ihre Durchführung sowie die Abenteuer und Erlebnisse, die das mit sich bringen mag.
Fortsetzung siehe Teil II