Evolution von Fluoreszenz unter UV: Gibt es unselektierte Merkmale?

  • [Anm. der Moderation: Diese Diskussion entstand aus der Beobachtung, dass Satyrium ilicis Raupen unter UV Licht fluoreszieren. Einige Beiträge wurden hierher verschoben, da sie nicht mehr zum Ausgangsthema passten. Es darf an dieser Stelle gerne weiterdiskutiert werden.]


    Interessant. Es sollte irgendeinen biologischen Sinn machen, warum die Raupen im UV Licht leuchten. Alles kostet Ressourcen und geschieht nur, wenn es einen Vorteil hat.


    Spekulationen eröffnet. Vögel sehen kein UV. Vielleicht eine Häufung der Eiablage vermeiden. Eiablage und Raupen sind aber zeitlich unterschiedlich. Vielleicht Insektenjäger abschrecken. Oder sich gegenseitig auf Abstand halten.


    Wer hat eine gute Idee?

    SG

  • AD
  • Die Spekulation zu Vögeln und UV Licht möchte ich direkt entkräften: zumindest von (den meisten) Singvögeln weiß man, dass sie UV-Licht sehen.

    z.B. versucht man so Vogelschlag zu vermeiden, indem man mit einem UV-Licht-Marker Punkte aufs Fenster malt. Wir Menschen sehen es nicht, Vögel im besten Fall ja.


    Und Blaumeisen sehen für uns geschlechtlich nicht unterscheidbar aus - aber Männchen sind im ultravioletten Bereich deutlich knalliger!


    Freue mich auf weitere Infos zu diesem Thema!


    Alles Liebe,

    Natalia

    • Official Post

    Alles kostet Ressourcen und geschieht nur, wenn es einen Vorteil hat.

    Also das würde ich so nicht sagen. Wenn man davon ausgehen kann, dass etwas eine Adaption darstellt, dann ist diese Aussage richtig. Nun ist aber nicht jedes Merkmal gleich automatisch eine Adaption. Viele Merkmale sind auch einfach neutral, sprich werden nicht selektiert. Beispiel Blutfarbstoffe: Limulus hat blaues Blut wir haben so wie die Mehrzahl der Tiere rotes Blut. Hat die Farbe des Blutes irgendeinen Vorteil oder macht das einen Unterschied? Haben gar Tiere mit rotem Blut einen Vorteil? Nein. Die Farbe ist einfach ein zufälliges Nebenprodukt der Moleküle die als Sauerstofftransporter fungieren und die sind eben zufällig farbig. Tatsächlich ist Hämoglobin einfach ein "besserer" Sauerstofftransporter und kommt daher häufiger bei großen Tieren vor.


    Bei sehr vielen Fällen von Fluoreszenz würde ich davon ausgehen dass das ähnlich gelagert ist. Es gibt einige Pflanzeninhaltstoffe die Fluoreszieren und da die Raupen diese sicher aufnehmen wird das einfach ein Nebenprodukt davon sein.


    Mit Vögeln hat das aus zwei Gründen wahrscheinlich nichts zu tun: Wie Natalia sagt sind Vögel eigentlich berühmt dafür neben Bienen UV sehen zu können. Es gibt sogar Vögel die können tetrachromatisch sehen (also rot, grün blau und UV). Außerdem ist ein beliebter Denkfehler, dass die Raupe UV reflektiert. Das tut sie nicht (vielleicht auch, aber das ist nicht was man hier sieht). Bei Fluoreszenz ist die abgestrahlte Wellenlänge energiärmer als die Anregungswellenlänge, sprich das Licht ist hier wahrscheinlich irgendwo im blauen Bereich. Sonst würden wir ja auch nichts sehen, weil wir sehen UV ja nun nicht. Solange Vögel also keine UV Lichtquellen dabei haben, sehen die auch nicht mehr als wir. Jedenfalls nicht das was wir hier sehen.


    Grüße Dennis

  • Hallo Dennis,


    ich glaube, das ist ein weit verbreiteter Irrtum, der letztlich noch aus dem kirchlichen teleologischen Mittelalter kommt. (Sorry, nicht persönlich nehmen.)


    Alle Arten die in der Gegenwart existieren, sind optimal angepasst. Sonst wären sie ausgestorben. Oder es sind Living deads, die noch ein paar Generationen ihr "extinction debt" mit sich herumschleppen, bis sie weg sind. Es gibt keinen "besseren" Sauerstoffträger. Menschen haben Hämoglobin, weil es für sie die günstigsten sind. In Afrika aus gutem Grund andere als in Europa. Für andere Tiere sind andere geeigneter.


    Wenn die Raupen in UV sichtbar sind, dann gibt es einen Grund dafür. Und der Grund muß die Nachteile (z. B. bessere Sichtbarkeit für Fressfeinde, Stoffwechselkosten) überwiegen. Sonst wäre es nicht so. Vielleicht werden auch nur Stoffwechselabfälle gelagert? Ich bin neugierig.


    Ich stelle also eigentlich zwei Fragen. Warum leuchten die Raupen? Und: Wieso ist das günstiger als nicht zu leuchten?


    Auch wenn ich hiermit einigen Lehrmeinungen widerspreche, gibt es unselektierte, neutrale Merkmale meiner Meinung nach nicht. Nur weil wir es noch nicht wissen, ist es nicht unwichtig. Die Evolution "spielt" zwar gerne mit Möglichkeiten, aber alles hat seinen Preis. Und was sich nicht rechnet, verschwindet rasch wieder. Selbst die blaublütigen Pfeilschwanzkrebse haben sich in den letzten 230.000.000 Jahren optimal angepasst, sonst wären sie weg.


    Schöne Grüße 🙂

    • Official Post

    ich glaube, das ist ein weit verbreiteter Irrtum, der letztlich noch aus dem kirchlichen teleologischen Mittelalter kommt

    Nein glaub mir das ist es nicht. Mit deiner Meinung gehst du ziemlich gegen den Strich von so ziemlich jedem Evolutionsbiologen. Dass es Mutationen gibt die keinem Selektionsdruck unterliegen ist gut belegt und ein zentraler Aspekt der Evolution. Die daraus folgende Gendrift ist ebenso fest etablierter Fakt. Da müsstest du schon einiges an wissenschaftlicher Forschung vorbringen die das Gegenteil belegt. Erklär mir z.B. das Vorhandensein von Transposons und repetetiven Gensequenzen wie short tandem repeats? Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht ist eine der wichtigsten Modelle der Evolutionsbiologie und berechnet die Allelfrequenzen in einer Population ohne Selektion oder andere wirkende evolutive Faktoren. Es gibt nicht viele Populationen die diesem Gleichgewicht näherungsweise folgen, aber es gibt sie. Solche Ansichten sind (nicht persönlich nehmen) viel eher Ausdruck dessen, dass man nicht akzeptieren kann dass in der Natur nicht alles einen Sinn hat oder einen Zweck verfolgt. Das ist viel mehr Überbleibsel des kirchlichen Mittelalters. Daraus kommen dann solche absurden Aussagen wie "Tier XY macht dies zur Erhaltung seiner Art". Das will einfach nicht aussterben.


    Alle Arten die in der Gegenwart existieren, sind optimal angepasst

    Das stimmt uneingeschränkt. Schließt jedoch nicht aus, das sie Merkmale tragen die keinem Selektionsdruck unterliegen, eben weil diese neutral sind (keinen Vor-oder Nachteil haben).


    Es gibt keinen "besseren" Sauerstoffträger. Menschen haben Hämoglobin, weil es für sie die günstigsten sind. In Afrika aus gutem Grund andere als in Europa.

    Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich besser in Anführungszeichen gesetzt habe. Eben weil besser ein relativer, nicht definierbarer Ausdruck ist. Natürlich hängt das vom Kontext ab, aber auf dem Papier ist Hämoglobin besser als Sauerstofftransporter weil die Sauerstoffbindekapazität höher ist als bei Hämocyanin. Deshalb ist es der verbreitetste Sauerstofftransporter (nicht weil rotes Blut vorteilhafter ist). Es gibt natürlich gute Gründe für die Nutzung von Hämocyanin, das würde jetzt zu weit führen. Es ging mir auch um das Merkmal der Farbe nicht um das Molekül selbst. Die Farbe ist reiner Zufall und kein selektiertes Merkmal. Das Molekül selbst ist wiederum selektiert. Das Menschen in Afrika anderes Hämoglobin haben stimmt auch nicht. Dort ist einfach die Frequenz einer Mutation in einer Hämoglobin-Kette höher, weil diese Malariaresistenz vermittelt und damit positiv selektioniert wird. Man beachte dass die Frequenz auch dort nicht 100 % erreicht, weil wie überall sonst das ganze eigentlich eine Krankheit darstellt, die ihrerseits mit entsprechender Mortalität einhergeht. Man sieht das "perfekt angepasst" nicht unbedingt heißt dass alles perfekt ist. So gut wie es geht angepasst wäre wahrscheinlich auch die passendere Bezeichnung wenn auch wenig griffig.


    Wenn die Raupen in UV sichtbar sind, dann gibt es einen Grund dafür

    Lange rede kurzer Sinn. Nein.

    Und der Grund muß die Nachteile (z. B. bessere Sichtbarkeit für Fressfeinde, Stoffwechselkosten) überwiegen

    Das kann so sein, es reicht aber eben wie erläutert wenn keine Kosten und kein Nutzen entsteht. Zu behaupten dass alles Kosten und Nutzen hat ist schlicht falsch bzw. falsch verstandene Evolutionstheorie.


    Grüße Dennis

  • Hallo Dennis, vielen Dank.


    Mal abgesehen von den vielen kleinen Themen, die du angesprochen hast, treffen wir uns am Ende an der interessanten Frage - Gibt es überhaupt unselektionierte Merkmale, die einen genetischen Drift in einer Population bewirken können?


    Die logische Antwort ist Nein. Erstaunlich nicht? Trotz der schönen Theorien dazu. Auch ein ungerichteter genetischer Drift ist ein Drift. Was solls?


    Stell dir 10 Populationen mit genetischem Drift eines "unselektionierten" Merkmals vor und 10 Populationen ohne dieses Merkmal. Welche der beiden Gruppen sind nach 100 Generationen noch da? Nach 1000, 10.000? Die Welt ändert sich, Evolution heißt Veränderung. Auch "unselektionierte" Merkmale sind eine Chance und ein Risiko. Man muss nur den Beobachtungszeitraum angemessen ansetzen. Ich weiß nicht, welche Merkmale in 1000 Generationen wichtig sind, oder gar welche Merkmalsausprägung.


    Das Merkmal ist scheinbar "unselektioniert". Die Veränderlichkeit (Variabilität) ist aber (auf lange Sicht) nicht unselektioniert. Variabilität ist wahrscheinlich ein kaum schlagbarer Vorteil. Sexuelle Reproduktion hat einen erheblichen evolutionären Schub gebracht wegen der schnellen Veränderung.


    Wir wissen einfach noch nicht alles. Short tandem repeats sind wahrscheinlich essentiell in der Transkriptionsregulation. Wir suchen z.B. jetzt schon in der Routine nach Mikrosatelliteninstabiliäten bei Krebserkrankungen. Die scheinbar unsinnigen Wiederholungen entscheiden manchmal über Leben und Tod. Repetitive Telomere steuern Alterung und Zelltod. Spannend für die Alterungsforschung. Vor 10 Jahren Unsinns-DNA, heute Top-Forschung.


    Ich glaube weiterhin, dass es in der Evolution wenig Platz für Sinnloses gibt. Es lohnt sich jedenfalls immer, Fragen nach dem Wie (Mechanismus: Wieso leuchten Raupen im UV? ) und dem Wozu (biologischen oder evolutionären Effekt: Hat das irgendeine Auswirkung?) zu stellen.


    Schöne Grüße

    • Official Post

    Ich glaube ich verstehe deinen Ansatz. Ich schätze wir betrachten dasselbe einfach in anderen Zeitdimensionen, wobei ich grundsätzlich nicht damit konform gehe, dass es in der Evolution keinen Platz für Sinnloses gibt. Hier ist jetzt wieder die Schwierigkeit was ist "sinnlos"? Wenn ich von Dingen spreche die keinen Zweck erfüllen (unnütz, sinnlos und alle Synonyme) meine ich damit immer etwas das einfach ungerichtet ist. Quasi eine Art Rauschen in der keine Regelmäßigkeit zu erkennen ist bzw. im Bezug auf genetisches Material: DNA die weder für Proteine codiert, noch irgendwelche metabolischen oder regulatorischen Funktionen übernimmt.

    Gibt es überhaupt unselektionierte Merkmale, die einen genetischen Drift in einer Population bewirken können?

    Also ersteinmal: Genetische Drift und Selektion ist kein entweder oder Ding. Beides kann gleichzeitig wirken, daher sind unselektionierte Merkmale nicht nötig um eine genetische Drift zu bewirken, bei diesen ist genetische Drift jedoch das einzige was Allelfrequenzen ändert.

    Stell dir 10 Populationen mit genetischem Drift eines "unselektionierten" Merkmals vor und 10 Populationen ohne dieses Merkmal. Welche der beiden Gruppen sind nach 100 Generationen noch da?

    Die Antwort wäre einfach nämlich beide, wenn es ein echtes unselektioniertes Merkmal ist und wir den Zufall außer Acht lassen. Das ist aber ein interessantes Gedankenspiel und ich kann daran einen wichtigen Punkt erläutern, den du für meine Begriffe übersiehst. Ich würde sagen: Im Wesentlichen hängt es vom Zufall ab welche der beiden Populationen nach 100 Generationen noch da ist. Du würdest nehme ich an darauf anspielen, dass die Population mit dem unselektionierten Merkmal zuerst ausstirbt weil diese quasi "nutzlosen Ballast" mit sich rumschleppt. Beziehungsweise wäre es dann natürlich kein echtes unselektioniertes Merkmal, weil offensichtlich wirkt hier dann ein negativer Selektionsdruck, ansonsten würde die Population nicht zuerst aussterben (man müsste hier mitteln über viele modellierte Durchläufe um auszuschließen dass das Zufall war). Aber das ist ja dein Punkt. Du sagst ja quasi, dass gegen "nutzlose" Merkmale ein Selektionsdruck besteht.


    Natürlich hat es für den Organismus nicht null Kosten unnütze DNA zu synthetisieren etc. selbst wenn diese unheimlich klein sind. Die Sache ist aber die: Zu verhindern, dass unnütze DNA entsteht hat auch nicht null Kosten. Es nehmen immer die Gene an Frequenz zu die sich am meisten replizieren und dazu müssen sie keine Funktion für den Organismus erfüllen. Sie müssen lediglich gut darin sein sich zu replizieren. Mechanismen zu entwickeln welche solche nur auf Selbstreplikation ausgerichtete Gene unterdrücken sind teuer. Um zu deinem Gedankenexperiment zurückzukehren: Man würde beobachten, dass die Populationen ohne "unselektionierte" Merkmale (die quasi nur codierende oder regulatorische Gene enthalten) anfangen DNA anzuhäufen die eben keinen Zweck erfüllt. Beide Populationen würden Mutationen anhäufen, die vielleicht erstmal keine Auswirkungen haben. Dann hängt es vom reinen Zufall ab, ob irgendwann sich eine dieser Mutationen als vorteilhaft erweist, ob irgendein Genabschnitt plötzlich eine Funktion übernehmen kann die zuvor nicht notwendig war. Erst dann wird eine Population hervortreten, zunehmen und andere verdrängen.


    Natürlich ist bei DNA Müll irgendwo eine Grenze erreicht. Wir sehen in biologischen Systemen dass Mechanismen existieren, die sehr wahrscheinlich dazu dienen den Anteil an selbstreplizierenden Genen einzudämmen. Offenbar sind Organismen mit kleinen Genomen auch sehr viel sensitiver darauf. Bakterien z.B. haben extrem wenig DNA die nicht für Proteine codiert. Ist irgendwo logisch. Wenn mein Genom klein ist, dann erreicht der Anteil an Schrott schnell ein unverträgliches Level. Man könnte hier natürlich sagen der Zweck ist der Selbstzweck der sich replizierenden DNA und Selektionsdruck wirkt hier auf die Fähigkeit sich selbst zu replizieren und das wäre sicher richtig. Ich glaube das war aber nicht was wir beide meinten. Zumal es tatsächlich Merkmale gibt die zweifelsohne in ihrer evolutiven Auswirkung völlig indifferent sind wie z.B. der Austausch einer Base welche für ein redundantes Codon codiert. Ich bin jetzt auf die Genebene abgedriftet und hier ist es denke ich offensichtlicher, dass es unselektierte Merkmale geben muss.


    Ich denke es geht eher um die phänotypische Ebene auf der das vielleicht weniger klar ist. Auch hier gibt es Merkmale die einfach keine Kosten verursachen und keinen Nutzen haben. In meinem Beispiel mit der Farbe des Blutes ist die Merkmalsausprägung "rotes Blut" ohne Kosten, weil die Kosten für das Hämoglobin entstanden sind und durch dessen Vorteil ausgeglichen werden. Die Farbe ist ein reines Nebenprodukt dessen und es hat dem Organismus keine Kosten verursacht extra einen roten Farbstoff herzustellen. Wäre Hämoglobin zufällig lila, dann wäre unser Blut eben lila. Ein Protein kann auch mit einer anderen Aminosäure noch genauso funktionieren wie vorher, ergo keine Kosten. Ein Tiefseefisch kann unter UV fluoreszieren, das kann aber ja gar keine Auswirkungen haben weil es in der Tiefsee kein Licht gibt.

    Man muss nur den Beobachtungszeitraum angemessen ansetzen. Ich weiß nicht, welche Merkmale in 1000 Generationen wichtig sind, oder gar welche Merkmalsausprägung.

    Klar, wenn man das so betrachtet kann alles was zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zweck erfüllt irgendwann einen Zweck erfüllen. Das ist der ganze Motor der Evolution. Mutationen passieren und diese sind entweder sofort von Vor-oder Nachteil oder eben neutral, persistieren und können irgendwann später zum Vor- oder Nachteil werden. Das Problem hierbei ist aber: Wenn man sehr große Zeitskalen betrachtet bekommen wir allerlei Probleme. Wie definieren wir dasselbe Merkmal auf einer so langen Zeitskala? Wenn wir uns ein Genom in Zeitraffer anschauen könnten, würden die Basen da nur so durchrattern wie bei einem Spielautomaten. Wo genau ist die Grenze zwischen dem roten und grünen Photopsin welche uns das Farbensehen ermöglichen? Beide entstanden aus der Duplikation eines einzelnen Gens. Wir enden damit in einem Brei wo die Grenzen zwischen Merkmalen verschwimmen. Es ist dann sinnlos ein Merkmal überhaupt noch definieren zu wollen. Deswegen sollte man bei evolutiven Fragestellungen grundsätzlich einen Punkt in der Zeit oder ein sinnvoll kleines Zeitfenster betrachten in dem das Merkmal eindeutig zuzuordnen ist. Außerdem verschiebt das den Torpfosten finde ich etwas, weil die Frage war ja: Gibt es unselektionierte Merkmale? Wenn es diese für irgendeinen Zeitraum gibt, dann lautet die Antwort ja. So ist das ein bisschen wie zu sagen eine Sportmannschaft hat heute nicht verloren, weil sie könnte ja nächstes mal gewinnen.

    Das Merkmal ist scheinbar "unselektioniert". Die Veränderlichkeit (Variabilität) ist aber (auf lange Sicht) nicht unselektioniert. Variabilität ist wahrscheinlich ein kaum schlagbarer Vorteil. Sexuelle Reproduktion hat einen erheblichen evolutionären Schub gebracht wegen der schnellen Veränderung.

    Wenn man Variabilität oder besser Evolutionsrate als Merkmal definiert, klar. Auch das finde ich verschiebt den Torpfosten, weil du damit jetzt sagst, dass unselektionierte Merkmal ist selektioniert weil es Teil eines übergeordneten Merkmals ist welches selektioniert ist. Damit ist aber ja das unselektionierte Merkmal für sich genommen trotzdem immer noch unselektioniert. Wir diskutieren damit dann denke ich eher über Definitionen und Formulierungen als über die Mechanismen.


    Natürlich wissen wir nicht alles. Es kann immer sein, dass wir den wahren Nutzen eines Merkmals übersehen oder nicht verstehen. Das sollte aber nicht zum falschen Umkehrschluss verleiten, dass alles worin wir keinen Nutzen erkennen können einen haben müsste den wir nur nicht verstehen. Manchmal kann und muss man die Frage nach dem Warum auch mit "gibt es nicht" bzw. mit Zufall beantworten.


    Grüße Dennis

    • Official Post

    Alles kostet Ressourcen und geschieht nur, wenn es einen Vorteil hat.

    Also gefühlsmäßig wäre ich hier voll bei Dennis (auch wenn ich in eurer fachlich fundierten Diskussion dazu nichts beitragen kann) - ich glaube, dass so vieles in der Natur letztlich auf Zufällen basiert, die wir wohl in den wenigsten Fällen wirklich erklären können, aber zwanghaft immer nach irgendwelchen Gründen suchen. Allein schon bei den vielen Beispielen der Mimikry bin ich oft skeptisch, ab wir hier nicht versuchen, Dinge in ein Muster zu pressen, das für uns irgendwie Sinn ergibt, eigtl. aber gar nicht existiert. Ich finde, wir dürfen der Natur bzw. va auch uns ruhig mal zugestehen dürfen, einfach nicht alle Dinge in der Natur erklären zu können.

    Aber das ist nur mein Gefühl dazu.


    Zumindest ein etwas fundierterer Teil zu UV: Vögel können (wie Natalia ja schon geschrieben hat) sehr wohl UV wahr nehmen (obwohl wir hier ja auch nur über den auch für die Menschen sichtbaren Bereich reden). Tatsächlich scheint die Fluoreszens Prädation eher abzuhalten statt zu fördern:
    https://www.cambridge.org/core…5997DDC746E0C1736957FDE18

    Ist zwar m.E. auch ziemlich entgegen dem, was man erwarten würde, da fluoreszierend quasi noch auffälliger, aber scheinbar gibt es da etwas, was die Vögel hier irgendwie irritiert/abhält...


    Beste Grüße,

    Toni

  • Liebe Alle,


    ich verfolge diese Diskussion sehr gerne, habe mich aber bisher zurückgehalten, da mir die fachliche Basis fehlt.

    Dennoch möchte ich meine Beobachtungen mit Euch teilen, da der ein oder andere sie vielleicht besser einzuordnen weiß.


    Bei der Aufzucht von Charaxes jasius ist mir aufgefallen, dass unter UV Licht v.a. die Kopfkapsel der Raupen fluoresziert. Aber auch die Kotballen schwach. Da die Raupen mit Vorliebe die frischen Triebe gegessen haben (die durch den hohen Chlorophyllgehalt besonders stark rot leuchten), erklärt sich mir das Leuchten des Kots. Nicht jedoch der Kopfkapsel.


    Acherontia atropos: Wie viele Raupen von Schwärmern (alle ??) fluoreszieren diese unter UV Licht. In L5 lassen sie sich von fast nichts vom Fressen abhalten - bestrahle ich sie jedoch intensiv mit UV Licht, setzen sie sich sofort in Bewegung und versuchen zu flüchten.

    Deshalb habe ich hier die Vermutung, dass diese Eigenschaft des Leuchtens darauf hindeutet, dass ein Schutz vor UV Strahlung vorliegt.


    Ich stimme Toni zu, dass Mensch gerne Erklärungen hat und sich deshalb auch gerne mal verleiten lässt, etwas anzunehmen. Umso wichtiger offen zu bleiben und Fragen zu stellen und ihnen nachzugehen. Wer nicht fragt, bleibt dumm…

    Unsere Mitwelt bietet unfassbar Erstaunliches, überrascht immer wieder und lässt uns auch mal fragend zurück.


    Ich bin sehr froh, hier viele Neugierige anzutreffen, die nicht müde werden zu fragen, zu diskutieren, Erkenntnisse und Wissen zu teilen und sich immer wieder auf die kleinen „Wunder“ einlassen.


    Alles Liebe,

    Natalia

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    • Official Post

    Jetzt wirds stark spekulativ bei mir, aber trotzdem kurz ein paar Gedanken von mir noch dazu

    die durch den hohen Chlorophyllgehalt besonders stark rot leuchten

    Scheint logisch. Wiederum konnte ich auch beobachten, dass gegen Herbst umso mehr Pflanzenarten fluoreszieren (bestes Beispiel: Brennnessel). Jetzt kenn ich mich mit der Biologie nicht gut genug aus (Schule ist zu lange her :grinning_face_with_smiling_eyes:), hätte aber eher gedacht, dass das Chlorophyll dann eher weniger werden müsste (?)


    das Leuchten des Kots

    ... der Gedanke bringt mich gerade wieder zu dem "alles hat einen Zweck": selbst Erde fluoresziert oftmals. Die Lampe, die ich verwende, wird ursprünglich zur Bestimmung von Mineralien genutzt, die in den spektakulärsten Farben fluoreszieren... Zweck?



    Deshalb habe ich hier die Vermutung, dass diese Eigenschaft des Leuchtens darauf hindeutet, dass ein Schutz vor UV Strahlung vorliegt.

    Beobachte ich genauso. Aber finde ich auch nur logisch - Wir haben es hier ja mit einer sehr starken Strahlung zu tun, die potenziell schädigend wirken kann. Leuchte ich mit meiner Lampe aus ca 0,4m auf meine Haut, spüre ich bereits die Wärme (unbedingt immer vermeiden!). Wäre nur logisch, dass die Tiere ebenfalls spüren, wenn gerade hohe Strahlungsintensität herrscht und sich dann zurück ziehen. Wahrscheinlich wird ihnen auch genauso warm (daher würde ich einzelne Tiere auch immer nur möglichst kurz anleuchten).


    Beste Grüße,

    Toni

  • Wiederum konnte ich auch beobachten, dass gegen Herbst umso mehr Pflanzenarten fluoreszieren (bestes Beispiel: Brennnessel). Jetzt kenn ich mich mit der Biologie nicht gut genug aus (Schule ist zu lange her :grinning_face_with_smiling_eyes: ), hätte aber eher gedacht, dass das Chlorophyll dann eher weniger werden müsste (?)


    Pflanzen bin ich echt nicht gut - gleich vorweg :winking_face_with_tongue:

    Habe die selbe Beobachtung gemacht und soweit ich weiß, treiben einige Pflanzen im Herbst bei warmen Wetter nochmal neu aus. Das erklärt mir das (rote) Leuchten und den hohen Chlorophyllgehalt, da neue Triebspitzen.


    Und absolut! Bei Verwendung von UV-Licht immer maximal kurz Leuchten.


    "alles hat einen Zweck"

    Ich glaube, da sind wir uns einig: nö. :winking_face:

  • Ist doch schön, wenn man eine dumme Frage stellt und lauter kluge Antworten bekommt. :smiling_face:


    Ich dachte, im Herbst recylen Pflanzen Chlorophyll und die Photosynthese wird vorübergehend von roten Farbstoffen übernommen. Xanthochromen? Tiefer stehende Sonne, mehr langweiliges (rotes) Licht, das von anderen Farbstoffen besser verwertet werden kann. Die Floureszens dieser Stoffe kann anders sein. Ob das bei Brennnesseln auch so ist?


    Floureszens als Sonnenschutzmittel finde ich eine geniale Idee 😀! Wir kennen alle Melanin, das aus UV Wärme macht. Das gibt es schon seit Ewigkeiten, bei Insekten wie bei Säugetieren mit dem gleichen Stoffwechsel. Aber UV umwandeln zu Licht haben wir nicht.

    Vielleicht dient Floureszens auch nur als Zwischenschritt zur Energieaufnahme, d.h. zum Aufwärmen.


    Oder es ist ein zufälliges Nebenprodukt. :thinking_face:


    Ähm Toni, die mineralische Erde gehört jetzt aber nicht zur belebten Natur und unterliegt nicht der Evolution. Oder sprichst du von flouresziereden Bakterien in der Erde, wie z. B. Serratia marescens?

    • Official Post

    Ist zwar m.E. auch ziemlich entgegen dem, was man erwarten würde, da fluoreszierend quasi noch auffälliger

    Ich denke bei alledem muss man sich ja mal überlegen was für eine Relevanz das überhaupt haben kann. Die Vögel haben ja keine UV Lampe dabei. Tagsüber ist UV Licht der Sonne vorhanden, da fluoreszieren die Raupen, aber das Licht ist viel schwächer als das reflektierte sichtbare Licht, sodass weder wir noch Vögel das sehen. Nachts gibt es sehr wenig Licht (citation needed) inklusive UV, sodass die Raupen dort kaum fluoreszieren dürften (abgesehen vielleicht von Vollmondnächten, aber Raupen sitzen auch selten offen im Licht). Vögel sind außerdem überwiegend tagaktiv.


    Tut mir leid dass die Diskussion zuvor sehr hochtrabend geworden ist. Ich versuche immer die Zusammenhänge möglichst verständlich zu formulieren, aber in dem Fall wollte ich auch deutlich machen dass dies ein sehr komplexes Thema ist bei dem man sich mit verallgemeinernden Aussagen zurückhalten sollte.

    Bei der Aufzucht von Charaxes jasius ist mir aufgefallen, dass unter UV Licht v.a. die Kopfkapsel der Raupen fluoresziert

    Auch nur Spekulation, aber Chinone fluoreszieren stark unter UV und werden bei der Bildung von Sklerotin (dem was dem Chitinskelett die Härte verleiht) eingebaut. Könnte sein, dass daher stark sklerotisierte Strukturen besonders in der Aushärtungsphase zu verstärkter Fluoreszenz neigen.

    Deshalb habe ich hier die Vermutung, dass diese Eigenschaft des Leuchtens darauf hindeutet, dass ein Schutz vor UV Strahlung vorliegt.

    Wäre möglich, dazu hab ich wieder in Physik nicht genug aufgepasst. Das wird fast überall sonst aber durch Melanine bewerkstelligt, sodass ich nicht erkennen kann warum Raupen hier die Ausnahme machen sollen. Dafür müsste man sich anschauen, ob das bei Raupen im Gebirge häufiger vorkommt. Was ich bezweifle.

    Vielleicht dient Fluoreszenz auch nur als Zwischenschritt zur Energieaufnahme, d.h. zum Aufwärmen.

    Auch dafür wäre Melanin besser geeignet da durch Absorption die Energie im Gewebe verbleibt, während sie durch Fluoreszenz ja wieder abgegeben wird.


    Ich tendiere nach wie vor dazu, dies eher als zufälliges Nebenprodukt anzusehen, was auch dadurch gestützt wird, dass diese Eigenschaft äußerst ungleich verteilt ist.


    Ich dachte, im Herbst recylen Pflanzen Chlorophyll und die Photosynthese wird vorübergehend von roten Farbstoffen übernommen

    Ersteres ja, Chlorophyll enthält viel wertvollen Stickstoff den die Pflanzen in der Regel nicht wegwerfen wollen. Zurück bleiben gelb/orange oder rote Farbstoffe wie Carotinoide und Anthocyane. Diese dienen in der Tat dem Schutz vor UV Strahlung, können aber nicht zur Photosynthese verwendet werden. Die Hypothese dass im Herbst mehr langwelliges Licht vorhanden ist, ist auch verlockend, aber da die Farbstoffe rot reflektieren und nicht absorbieren (sonst wären sie nicht rot), könnten sie ja gerade dieses Licht nicht verwerten.


    Grüße Dennis

  • Scheint logisch. Wiederum konnte ich auch beobachten, dass gegen Herbst umso mehr Pflanzenarten fluoreszieren (bestes Beispiel: Brennnessel).

    Ich konnte beobachten, dass angefressene, eingerissene, vertrocknete Blätter etwas leuchten. Ich vermute Pflanzensaft leuchtet stärker, aber wird durch die Epidermis abgeschottet, vermutlich leuchten daher Blätter nur schwach. Interessant wäre auch, ob frische Schmetterlingspuppen schwächer leuchten (hatte gelesen, Raupenorgane zerfallen erst innerhalb von Tagen im Puppenstadium).

    Leuchtet Baumharz unter UV?

    Grundsätzlich hab ich mal irgendwo gelesen, Raupen leuchten in Abhängigkeit von ihrem Futter. Interessant wäre, ob Parfüm leuchtet, da Ritterfalter bei Abwehr viele konzentrierte "Abfallstoffe" über das Osmaterium in kurzer Zeit ausstoßen.

    Möglicherweise leuchten mitunter weibliche Puppen stärker als männliche (etwas größer, aber gleichzeitig evtl. auch etwas mehr Stoffe/Eivorrat für den späteren Falter).


    Gruß Kai

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