July 1, 2023 at 7:34 AM - Posts: Beobachtungen an einer geschützten Art, Title: Breeding butterflies: breeders experiences
Liebe Mitforisten,
anbei möchte ich an dieser Stelle einen meiner Tagebucheinträge aus diesem Jahr zur Diskussion stellen. Mich interessiert, ob ihr schon ähnliche Erfahrungen gesammelt habt. Leider kann ichaus juristischen Gründen die Art nicht nennen, auf die sich meine Beobachtungen beziehen. Ich musste daher am Text einige Änderungen vornehmen, die ich jeweils kursiv gehalten habe. Seht selbst:
27.06.2023: Als ich heute nach der Arbeit nach Hause gekommen bin und mein Arbeitszimmer betrat, fand ich an der Gardine des Nordfensters einen makellosen Falter einer geschützten Art. Das Tier zeigte kaum eine Reaktion, als ich näher trat, wie man das von einem frisch geschlüpften Falter erwarten würde. Die Beobachtung passte zu einem „Zuchtunfall“ aus dem letzten Jahr. Letzten Sommer hatte meine siebenjährige Enkelin bei der Gemüseernte einige Raupen einer geschützten Art eingesammelt und sie zu mir gebracht. Ich sollte sie großziehen und sie „retten“. Also setzte ich die Raupen in eine Pflanzenaufzuchtbox und versorgte sie täglich mit dem Kraut ihrer Wahl. Weil es schon recht spät im Jahr war und in meinem Garten kaum noch entsprechende Pflanzen wuchsen, bat ich meine Schwiegertochter, mir aus dem Garten ihrer Eltern passende Futterpflanzen zu besorgen. Die Raupen waren schon beim Einsammeln beinahe er-wachsen und gediehen prächtig. Nach kurzer Zeit waren zwei von ihnen verpuppt, und ich vergaß nach der täglichen Käfigreinigung und dem Futterwechsel, einen Belüftungsschieber am Dach des Aufzuchtbehälters zu schließen. Es dauerte keine Stunde, da hatte sich die dritte Raupe aus dem Staub gemacht.
So sehr ich mich auch abmühte: Ich fand keine Spur mehr von dem Tier. Dabei inspizierte ich alle freien Schrankbretter. Ich rückte das Terrarium vor, schaute dahinter, durchstöberte Nischen zwischen Schränken und verschonte am Ende nicht einmal die Exponate meiner Mineraliensammlung vor meinen Nachforschungen. Ich war so entschlossen, dass ich am Ende sogar die Rückwand meines Sideboards mit der Taschenlampe ausleuchtete. Dazu musste ich meinen Kopf eng gegen die Wand pressen und mich übers Regal beugen als quälte ich mich mit den fortgeschrittensten Yoga-Übungen. Leider erwies sich mein Schädel als zu breit, als dass ich hinter dem Schrank etwas hätte erkennen können. Stattdessen blickte ich beinahe blind in einen dunklen Abgrund voller Staub und Flusen. Das Licht meiner Taschenlampe reichte gerade aus, um die obersten Zentimeter des Schlitzes auszuleuchten. Hinter dem Sideboard waren nur schemenhafte Strukturen wahrzunehmen, die reichlich Raum für die Fantasie boten: Ich stellte mir vor, wie mir eine dicke, haarige Eckenspinne ins Gesicht sprang, brach meine Suche ab und ersparte mir weitere Verrenkungen. Wer wusste schon, was da im Dunkeln lauerte? So blieb die Raupe bis zum Ende meiner Nachforschungen verschollen - zumal das Sideboard zu schwer war, als dass ich es hätte alleine von der Wand rücken mögen. Endlich gab ich also auf und begnügte mich mit der Einsicht, dass mir das Tier entwischt war.
Natürlich wollte ich wissen, ob die Puppe im Haus eine Überlebenschance hatte. Ich bemühte also einige Literaturquellen um Hilfe. Was ich dort las, wollte mir nicht gefallen. Es hieß, die überwinternden Puppen einheimischer Arten benötigten einen Kältereiz, um ihre Entwicklung abzuschließen. Nach dieser Information würde die Puppe im Haus also verenden und meine Enkelin wäre enttäuscht. Tatsächlich herrschen in meinem Arbeitszimmer ganzjährig Temperaturen zwischen 18 und 22 Grad vor. Nach dem Stand der Dinge hatte das Tier also keine Chance. Ich wunderte mich deshalb nicht, als der Falter zur erwarteten Schlupfzeit nicht auftauchte. Seine Puppe würde wohl irgendwo in einer versteckten Nische meines Arbeitszimmers vertrocknet sein, vermutete ich. An dieser Version meiner Erzählung hielt ich fest, bis ich heute den frischen Falter an der Gardine entdeckt habe. Die Art scheint demnach also durchaus milde Wintertemperaturen zu ertragen.
So wie es aussieht, hat die Puppe den Winter überlebt und ist – vermutlich aufgrund der dauernden Wärmeeinwirkung – zu einem verspäteten Zeitpunkt geschlüpft. Der frische Falter dürfte nach dem Aushärten seiner Flügel dem Licht entgegengeflogen und auf der Gardine des Nordfensters gelandet sein. Als ich ihn entdeckte, erholte er sich dort mit über dem Rücken zusammengeklappten Flügeln von den Strapazen seiner Metamorphose. Ich nehme an, wenn ich den Falter nicht vor Einbruch der Dunkelheit entdeckt hätte, wäre er über Nacht in seiner Haltung verharrt und hätte erst am nächsten Morgen versucht, einen Fluchtweg aus dem Zimmer zu finden. In diesem Fall wäre er sicher nicht in dem makellosen Zustand geblieben, in dem ich ihn angetroffen habe. Stattdessen hätte er sich bis zum Nachmittag seine Flügel an den Gardinen zerstoßen gehabt und bei seinem Kampf um die Freiheit jede Menge Energie verloren. So aber blieb mir bei all dem „Hätte“ und „Wäre“ nichts weiter zu tun, als den Falter auf meinen Finger krabbeln zu lassen und ihn im Garten auszusetzen. Ich musste bloß noch meine Enkelin anrufen und sie fragen, ob sie den Falter selber freilassen wollte.
Jede andere Version der mutmaßlichen Geschehnisse um den Falter als die dargestellte, halte ich für unrealistisch. Seit ich mich für Schmetterlinge interessiere, habe ich schon etliche verirrte Schuppenflügler aus Wohnräumen „gerettet“. Meist handelte es sich bei den Tieren entweder um Tagpfauenaugen oder um Kleine Füchse. Erst vor fünf Tagen pickte ich an derselben Stelle einen Kleinen Fuchs von der Gardine und befreite ihn aus meinem Arbeitszimmer. Nur ausnahmsweise fand sich auch mal ein Weißling unter den verflogenen Tieren. Einen Falter der besagten geschützten Art habe ich dagegen noch nie in der Wohnung aufgesammelt – bis gestern. Und da befand er sich auch noch ausgerechnet an der Stelle, an der ich gemäß der Vorgeschichte mit dem verschollenen Falter einer geschützten Art gerechnet hätte. Es handelte sich also beinahe sicher um dasslebe Tier, das mir im letzten Jahr aus dem Aufzuchtbehälter entwischt war. Spuren, die meine Geschichte beweisen, fand ich bis dato zwar nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich - spätestens, wenn ich das nächste Mal die Wände streiche - hinter einem Schrank oder Regal die leere Puppenhülle oder einen ausgetrockneten Sekrettropfen entdecken werde. Vergessen werde ich die Geschichte bis dahin sicher nicht.
Ürgigens. Keine Sorge: Ich bin kein Sammler. Den Falter einer geschützten Art hat meine Enkelin inzwischen längst feigelassen. Ohne ihr Zutun wäre er der Ernte seiner Futterpflanze zum Opfer gefallen.