Schmetterlinge – Ökologische Wahrsager im Weinberg

  • Schmetterlinge gehören durch die Farbspiele ihrer Flügel zu den größten Täuschungskünstlern der Natur. Doch zugleich gehören sie auch zu den unhintergehbaren Wahrsagern. Denn wo es – wie in den meisten Weinbergen, Obstplantagen, Kartoffelackern und Getreidefeldern – keine Schmetterlinge mehr gibt, braucht es keine Biokontrolle: Ihre Abwesenheit ist ein untrügliches Anzeichen dafür, dass das Ökosystem zerstört ist.


    Viele Schmetterlingsarten haben sehr hohe Ansprüche an die biologische Vielfalt ihres Lebensraums. Ebenso wie Bienen ernähren sie sich hauptsächlich von Pflanzennektar und sind insofern auch als Bestäuber von großer Bedeutung. Schmetterlinge können erstaunlich weite Wegstrecken zurücklegen, um Habitate aufzusuchen, in denen sie die von ihnen bevorzugten Nektarblüten finden und in denen vor allem jene Pflanzen wachsen, auf deren Blättern sie ihre Eier ablegen. Denn die meisten Raupen, aus denen die Falter letztendlich metamorphieren, sind von ihrer Nahrung her auf Blätter ganz bestimmte Pflanzen angewiesen.
    Hohe Schmetterlingsvielfalt kann aus diesen Gründen nur dort erreicht werden, wo eine hohe Pflanzenvielfalt herrscht. Die Pflanzenvielfalt lockt Schmetterlinge an, und die Schmetterlinge tragen dazu bei, dass die Pflanzenvielfalt erhalten bleibt. Der Schutz bestimmter Falterarten bewahrt oft einzigartige, artenreiche Biotope mit vielen Spezialisten, wobei die Maßnahmen zur Förderung von Schmetterlingen eben zugleich Maßnahmen zur Förderung der allgemeinen Biodiversität sind. Die Anwesenheit bestimmter Schmetterlingsarten und vor allem die Anzahl verschiedener Schmetterlingsarten ermöglicht daher verlässliche Aussagen über die Qualität eines Ökosystems.
    Dass Schmetterlinge zudem die ästhetische Qualität der Landschaft erhöhen und ähnlich wie Heuschrecken oder Grillen das Erlebnis von Natur und Landschaft bereichern, ist ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt.


    Maßnahmen im Weinberg


    Wir haben vor fünf Jahren die Weinberge der heutigen Domaine des Delinat Institutes erworben. Damals waren sie ebenso wie fast alle Weinberge im Wallis kahl gespritzt. Die Böden lagen nackt und der Erosion preisgegeben unter der glühenden Sommersonne. Kein Baum, kein Strauch, keine Blume soweit das Auge reichte, einzig Reben, dicht an dicht. Es roch hauptsächlich nach Schwefel und die Krume nach Fäulnis. Die Reben waren kaum 35 Jahre alt, doch allem Anschein nach bereits am Ende ihres Lebenszyklus.
    Angesichts dieses Trauerspiels gehörte eigentlich nicht allzu viel Vernunft und Mut dazu, alle konventionellen Wahrheiten zunächst in Frage zu stellen, alle Prinzipien des Weinbaus noch einmal grundlegend neu zu durchdenken und nach Lösungen zu suchen, die Weinbau und Naturschutz nicht als Widerspruch erscheinen lassen.
    Als erstes lichteten wir die viel zu engen Rebzeilen aus, um eine vielfältige, hoch wachsende Begrünung auf Basis verschiedener Leguminosen einzusäen. Durch diese mit Kompostbeigaben unterstützte Begrünung wurde die Regenerierung des Bodens eingeleitet und die Vorraussetzungen für autonome Nährstoffzyklen geschaffen. Pro Hektar wurden 15 Obstbäume und 250 Heckenbüsche an den Rändern, aber auch mitten in den Reben gepflanzt. Zudem wurden mehrere biologische Hotspots von je 10 bis 15 m2 mit Aromakräutern und Nektarblumen angelegt. Pro Hektar wurden acht Bienenstöcke und zahlreiche Wildbienenhotels aufgestellt. In jeder zweiten Rebzeile wachsen Sekundärkulturen, die nicht nur die Biodiversität erhöhen, sondern auch den Gesamtertrag steigern: Erdbeeren, Himbeeren, Rosen, Kartoffeln, Kürbisse, Mais, Erbsen, Zwiebeln, Porree, Tomaten, Aronia und einiges mehr. Durch Einsatz organischer Pflanzenschutzmittel konnte auf Schwefelspritzungen verzichtet werden.


    Das Ergebnis spricht für sich:


    Wo man anfangs nur mit Mühe eine oder zwei Schmetterlingsarten fand, konnten mittlerweile 47 verschiedene, teils sehr seltene und vom Aussterben bedrohte Schmetterlingsarten nachgewiesen werden. Neben dem Dickkopffalter wurden unter anderen gesichtet: Kleiner Feuerfalter, Veränderliches Widderchen, Postillon, Schachbrettfalter, Senfweissling, C-Falter, Südlicher Kurzgeschwänzter Bläuling, Brombeer-Perlmutterfalter, Baumweissling, Distelfalter, Zwergbläuling, Hauhechelbläuling, Resedafalter, Waldreben-Fensterfleckchen, Silbergrüner Bläuling, Gelbling, Kleines Wiesenvögelchen, Rostfarbiger Dickkopffalter, Brauner Waldvogel, Weisskernauge, Roter Scheckenfalter.
    Dank der Gesundung des Bodens wachsen mittlerweile über 150 Wildpflanzenarten auf der Domäne. Zugleich sind die Reben wieder gesundet und stehen dank aktiver Gründüngung in bestem Wuchs. Die Weinerträge entsprechen den Werten für Qualitätswein. Durch Verzicht auf Dünger, Herbizide und chemische Pestizide konnten zudem die Kosten erheblich reduziert werden. Die Qualität der Weine hat sich deutlich verbessert, und mittlerweile gehören die Pinot Noir de Mythopia anerkanntermaßen zu den besten des Wallis.
    Es braucht also im Grunde weder Idealismus noch sonderlich viel Umweltbewusstsein und auch die ideologische Frage Bio oder Nicht-Bio ist letztlich unerheblich: Der Winzer muss nur rein wirtschaftlich an fünf Fingern abzählen, wie lohnenswert es ist, die Biodiversität in seinem Weinberg zu fördern.


    Hans-Peter Schmidt im Journal für Terroirwein und Biodiversität, 2008, ISSN 1663-0521
    Mit freundlicher Genehmigung des Delinat-Instituts


    Warum ich diesen Artikel hier publiziere? Ich plane, im Sommer ein Wochenende in diesem Weinberg zu verbringen, so unter dem Motto »Sichten & Degustieren«. Eine Einladung für die gesamte ACTIAS-Gemeinde wird folgen.

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