"Na, jetzt kommen aber doch ein paar Zungenschläge in die Diskussion, die man beim Thema "Verschwinden der Schmetterlinge" so nicht erwartet hätte."
Ich mache mich hier vermutlich gleich wieder unbeliebt, aber hier müssen dringend mal einige Mythen aufgeklärt werden:
a) Ich denke, um die Analyse, dass ein - historisch bisher in diesem Ausmaß in der Menschheitsgeschichte vermutlich erstmaligen- Artensterben (mit dieser Geschwindigkeit) vorliegt, müssen wir im Entomologie-Kreis nicht streiten.
b) Die Analyse wird vermutlich von Großteilen des politischen Spektrums (exklusive der reaktionären und verblendeten AfD und populistischen Teilen der CDU/CSU) geteilt.
c) Die Analyse ergibt jetzt aber noch keine politische Schlussfolgerung: Der Naturschutz ist nicht politisch "neutral", wer das meint fällt auf zwei der größten hegemonialen politischen Mythen rein: a) die Extremismustheorie, also die Gleichstellung von Links und Rechts und der Vorstellung einer demokratischen Mitte und b) die Neutralität der Wissenschaft, also die Vorstellung das alle Wissenschaften (häufig aber vor allem die "Naturwissenschaften") wertfrei sind und es lediglich um die neutrale Wissenserarbeitung gehe. Den zweiten Punkt möchte ich hier kurz ausführen, weil es doch eine der größten Mythen, die uns naturwissenschaftlich geprägten EntomologInnen beschäftigt. Wissenschaft kann nicht neutral sein, weil mit der Wissenschaft auch immer selektive Entscheidungen über den Gegenstand der Forschung getroffen werden und es ist doch ein wesentlicher Unterschied macht, ob man seine limitierten Ressourcen in die Forschung zu Atombomben oder die ökologisch nachhaltige Bewirtschaftungen von Feldern investiert. Darüberhinaus ist die Naturwissenschaft auch nicht unabhängig von gesellschaftlichen Interessen, das heißt im einem Wissenschaftssystem, dass sich die Forschungsschwerpunkte über eine künstliche Verknappung von Forschungsgeldern selbst aussuchen kann (Drittmittel usw.), besteht ein politischer Konflikt um die Ausrichtung aller Forschung. Das Dritte Reich sollte uns allen hierbei im Hinterkopf bleiben. Dabei haben die Naturwisschenschaften (vor allem die Rassenbiologie und die Geografie) ganz erheblich zur Ideologiebildung beigetragen und die Chemie sowie die Physik die Grundlagen für diverse Kampfstoffe erschaffen.
d) Wenn man jetzt davon ausgeht, dass Naturschutz politisch ist, kann der eigentliche Streit (durchaus positiv gemeint) beginnen: Gibt es bessere Argumente für einen "konservativen" oder einen "progressiven" Naturschutz?
Ab hier noch kurz etwas zu meiner persöhnlichen Position in Sachen Naturschutz: Ich halte es für einen Mythos, dass die Marktwirtschaft zum Erhalt der Biodiversität beitragen kann. Die Neoklassik also die vorherrschende theoretische Strömung in den Wirtschaftswissenschaften geht teilweise bis heute davon aus, dass natürliche Reserven keinen Gebrauchswert haben, sondern erst als genutze Ressourcen also mit der Produktion (Land -> Agrarprodukte) einen Tauschwert erhalten. Dass dabei nicht selten vertreteten wird, dass z.B. der Wald (und somit das Holz auf) auf einer Fläche oder die Nährstoffe im Boden lediglich als natürliche, kostenfreie, Produktionsmittel gelten, sollte uns Sorgen bereiten. Für mich ist der Erhalt der Biodiversität abhängig von sozialen Verbesserungen (die Grundlage für eine bessere [Umwelt]Bildung sind) sowie von einem fundamentalen Wandel in der Art wie der Mensch wirtschaftet. Denn: Solange die (unendliche) Kapitalakkumulation und somit der dauerhafte Zwang der Investitionen im Vordergrund stehen, kann die Naturzerstörung nicht aufhören. (Man darf hierbei ja nunmal nicht außer Acht lassen, dass Investitionen zur Produktion führen und jedes Produkt auf natürlichen [und eben endlichen] Ressourcen beruht.
Also, ich würde es begrüßen, wenn wir endlich wieder einen politisierten Naturschutz erleben und auch wenn Actias-Mitglieder dabei eine Rolle spielen (das ist auch wichtig, wenn es in 100 Jahren noch viele Arten zur Bestimmung geben soll
). Gerade heute sollte man aber auch daran denken, dass solche Kämpfe durchaus bestehen: Der alte Hambacher Forst, soll dem (wissenschaftlich überholten) Braunkohleabbau den Weg frei machen und deswegen komplett gerodet werden. Viele Menschen protestieren aktuell dagegen auch mit der Besetzung des Waldes (die Rodung wurde aktuell wegen eines laufenden Verfahrens gegen RWE vorläufig gestoppt).
Ich freue mich hier auf eine (hoffentliche) differenzierte und argumentative Debatte, abseits von Populismus und reaktionären Gedankenguts. Das heißt aber auch, dass man sein Wutbürgertum ablegen muss (in dessen Rahmen hier ja schon einige wissenschaftlich unhaltbare Sachen vertreten wurden sind)
Viele Grüße (und etwas nachdenkliche an Andreas)