Nun gut, dann will ich mich nicht länger betteln lassen und hab im Eiltempo gleich den zweiten Teil fertig gestellt.
Nachdem wir also am 13.09. gegen Mittag von Ventimiglia in Italien die französische Grenze überquert hatten, bewegten wir uns immer weiter Richtung Westen an der Mittelmeerküste entlang,
und das ist wörtlich zu nehmen, denn die Bahntrasse folgt dem Küstenverlauf wirklich in jeder Bucht und Biegung.
Der Bahnkörper war teilweise exponiert aufgeschüttet so dicht am Meer gebaut dass zwischen uns und den Wellen nur knappe 10 Meter Strand samt zahlreichen gebräunten Franzosen lagen. :cool:
Die Zugstrecke an der Côte d’Azur führt oft mit nur wenigen Metern Abstand am Meer entlang
Ab und zu fährt man zwar durch einen Tunnel, aber ansonsten kann man gut die schöne Küstenlandschaft betrachten, und das Meer natürlich. Naja… manche zumindest
ohne Worte...
Im Gegensatz zu den meisten Strecken in Italien kamen wir hier nur vergleichsweise sehr langsam voran und mussten beinahe auf jedem größeren Bahnhof in einen Anschlusszug umsteigen, plus Wartezeit…
Das hat natürlich einen Grund – die sogenannte Centralisation.
Bis vor einigen Jahrzehnten gliederte sich Frankreich strukturell in zwei Gebiete: Paris und Umgebung, und eben „der Rest“, die Provinz… sämtliche Wege, Infrastruktur etc. führten sternförmig in die Hauptstadt, um van A nach B zu kommen musste man oft zwangsläufig über Paris.
Dieser Umstand ist im modernen Frankreich natürlich sehr unpraktisch für so ein großes Land, also wirkte man dem entgegen und baute auch zwischen den anderen Großstädten Verkehrsadern.
Aber wie gesagt, Frankreich ist viel größer als Deutschland oder Italien und jahrhundertelange Vernachlässigung baut man nicht eben wieder aus.
Das flächendeckende Verkehrsnetz ist daher sehr großmaschig im Vergleich zu Deutschland, wo aller paar Kilometer eine gute Straße verläuft…
Aus diesem Grund wollten wir Frankreich eigentlich ein bisschen stiefmütterlich links liegen lassen, denn zugegebenermaßen gehört es nicht gerade zu meinen Lieblingsländern
(was aber eher an der Art und Weise der Menschen liegt, das Land selbst ist klasse ) und außerdem ist Reisen mit dem Zug in Frankreich schnell über größere Strecken bei einem sehr begrenzten Zeitkontigent ein absoluter Albtraum!
Der eigentliche Plan sah also vor nach Italien so schnell wie möglich an der französischen Küste langzubrettern und so bald wie es geht Spanien zu erreichen…
Doch leider gibt es eben keine durchgehenden Zugverbindungen an der Küste entlang, wir fuhren also von Ventimiglia über Monaco nach Nizza, stiegen um, fuhren weiter über Cannes nach Toulon, stiegen um, weiter nach Marseille, stiegen nochmal um, und DANN als letztes über Avignon und Nimes nach Montpellier. Mehr schafft man nicht, für diese Strecke vergleichbar mit den 3 ½ Stunden Venedig-Rom braucht man einen ganzen Tag!
Die Silhouette von Nizza
Kurz vor Montpellier steigen wir gegen 20 Uhr in Lunel aus dem Zug und pilgerten noch eine dreiviertel Stunde zu einem Campingplatz.
Unterwegs kamen wir an einigen riesigen Kaufhallen vorbei, genau richtig für uns ausgehungerte Italienexilanten! Man muss dazu sagen dass es in Italien abseits der Großstädte, wo es natürlich genauso Einkaufsmöglichkeiten gibt wie bei uns, mit der Versorgung ein wenig rarer aussieht.
Es gibt sehr viele kleine „Tante-Emma-Läden“ und Familienbetriebe, Bäckereien, kleine Fleischereien etc. aber eben nichts großes wo man für wenig Geld mal ein Pfund Brot bekommt um sich satt zu essen.
Ich finde das sah man auch der Bevölkerung an, wir beide mit unseren eher durchschnittlichen 1,80m überragten die Bevölkerung ständig hünenhaft um einen Kopf, ein tolles Gefühl. :w00t:
Aber wer mich kennt weiß dass mein Nahrungsbedarf nicht gerade gering ist, so hatte ich auch diesmal, wie schon oft Probleme mich der italienischen Ernährung anzupassen… :blink:
Umso schöner also in Frankreich mal wieder richtig zuzuschlagen, wir luden einen ganzen Einkaufswagen mit Fisch, Fleich, Käse, Brot, Dosenravioli etc. und krachten uns die Hälfte gleich auf dem Parkplatz zwischen den Autos rein. Die irritierten Blicke der Franzosen waren uns egal. Den Rest buckelten wir in unser Camp.
Hier gabs dann das erste Mal auf unserer Reise Verständigungsprobleme, denn im Gegensatz zu sonst erhielten wir auf unseren Standartspruch (immer an das Land angepasst natürlich) „est c’que vous parlez anglais?“ diesmal eben KEIN bestätigendes Nicken…
Nun hatten wir zwar beide zwei Jahre lang einen Intensivkurs in Französisch absolviert, aber dieses theoretisch noch irgendwo vorhandene Wissen schnell heraus zu kramen und das nachdem man sich gerade eine Woche stark an das italienische gewöhnt und herangetastet hat ist nicht so leicht.
Aber wir meisterten diese Aufgabe erstaunlich gut (vermutlich die beste Erfolgsbestätigung für unsere Französisch-Lehrerin die sich die Jahre zuvor mit uns rumplagen musste!)
Felix zeigt reges Interesse an den Fängen des Tages. Entomologen-Rekrutierung erfolgreich!
Inzwischen war es finster und wir mussten unser Lager wiedermal im Dunklen aufbauen. Die Nacht war wieder sehr kurz, da Felix Frankreich so schnell wie möglich wieder verlassen wollte um am Samstagabend in Barcelona sein zu können, wo er sich ein Fußball Ticket reserviert hatte; mich wiederum zog es ins bergige Hinterland zum Wandern.
Um 07:00 waren wir aufbruchsbereit, also ab zum Bahnhof und bei inzwischen bestem Wetter um 08:00 Uhr rein in den Zug, allerdings in entgegengesetzte Richtungen, Felix fuhr schon mal vor, nach Perpignan und bis zum Nachmittag nach Barcelona; ich setzte ein Stück zurück und fuhr von Nimes weiter nördlich ins Hinterland.
Die tägliche Dosis, auch wenn die Tiere bis jetzt nur rumsaßen brauchen sie viel Pflege. Heute gibts notgedrungen Fanta
Kurz vor 09:30 Uhr erreichte ich Àles, von da aus gings nochmal eine Stunde mit der Regionalbahn hoch in die Berge des südlichen Zentralmassiv auf etwa 900 Meter.
Ich hatte kein direktes Ziel, nur eine Aufgabe und stieg daher einfach da aus wo es mir biotopmäßig am meisten zusagte.
Dieser Wandertag war ohnehin nur spontan eingefügt worden, im Grunde ausschlaggebend für die Idee war der Bericht von Rudi über seine fantastische Frankreich-Reise, den er Mitte August als wir gerade unsere Reise planten, gerade veröffentlichte.
Wir quatschten in Weiden kurz darüber und auch an eben diesem Morgen schrieb ich ihm nochmal um eine ungefähre Idee meines Zieles zu bekommen und dann gings ab.
Als ich dann in den Bergen die ersten unbewaldeten Gipfelkuppen sah, stieg ich aus und lief los.
Im Fiebertraum sah ich mich schon die ganzen H. nicaea Raupen, die Rudi übersehen hatte ( ), absammeln – aber letztendlich machte ich mir da eher wenig Hoffnung.
Blick vom Zug auf die ersten höheren Gipfel des südlichen Zentralmassiv hinter Àles
Doch wenigstens einmal dieses Feeling nachzuvollziehen, ein Gespür für die Gegend und mögliche Biotope zu bekommen wäre mir schon ausreichend gewesen, niemand wird von jetzt auf gleich ein immer erfolgreicher Feldforscher wo er auch hingeht,- sowas braucht viel Zeit, Vorbereitung und Erfahrung um die Lücken auf der inneren Landkarte zu füllen, und irgendwann hat man dann vielleicht so viel gesehen dass man gezielt eine Region besuchen kann um auch mal fündig zu werden. (Ich hoffe du kannst das zwischen den Zeilen lesen wenn du noch aufmerksam bist Rudi, meinen tiefsten Respekt für deine Reisen und deinen fundierten Erfahrungsschatz, kann diese Mühe jetzt sehr gut nachvollziehen!)
Gut, genug geschleimt, back to the Wanderung:
Am späten Samstagvormittag stapfte ich also irgendwo in einem wildfremden Land von einem winzigen Bahnhof, in einem winzigen 3-Seelen-Dorf, in einem extrem dünn besiedelten Landstrich aus los, ausgerüstet mit knappem Proviant für 1,5 Tage, 2 Liter Wasser, dem kompletten Zelt und neben dem nötigsten an Wechselsachen natürlich sämtlichem Fang-Utensil.
Alles übrige hatte ich Felix mit nach Barcelona gegeben um den Rucksack etwas zu erleichtern, aber ob nun 15 oder 14 Kilo ist dann auch wurscht wenn man sich noch 2 Liter Wasser drauf packen muss… :pinch:
Zur ungefähren Navigation reichte mir meine Kartenfunktion des Smartphone, ansonsten lief ich einfach der Nase nach dahin wo es gut aussah. Nach einer Stunde kreuzte mein Trampelpfad eine kleine Asphaltstraße, der ich folgte. Kurz darauf mitten im nirgendwo kam ich auf einen kleinen Platz, auf dem ein Wohnmobil stand, dahinter ein steiler Schutthang mit Magerrasenbewuchs und einigen großen Buddleia, drum herum lichter Pinuswald. Ich beschloss eine Rast einzulegen und den Hang genauer zu inspizieren.
Erster Rastplatz und untersuchtes Habitat
Auf den Buddleia tummelten sich etliche Pieridae, Argynnini, Melitaeini, dutzende Macroglossum stellatarum sowie Lasiommata megera, Pararge aegeria, Coenonympha sp., dazu noch einige Satyrini vor allem die Waldportierarten, wobei ich diese nicht ganz unterscheiden konnte, aufgrund des Habitats schließe ich aber besonders auf Aulocera circe und Hipparchia hermoine. Der blühende Bewuchs des Schutthangs wurde hauptsächlich von Argynnini, Melitaeini und Lycaenidae besucht.
Wer kann sie bestimmen?
Ich verbrachte da eine knappe Stunde, fing ein paar Belegexemplare, stellte aber auch das große Aerarium raus in die Sonne damit die machaons auch mal ein bisschen Sonne abbekamen.
Besonders genau inspizierte ich die trockenen Seitenbereiche des Biotops, wo die höheren Gäser und kleinen Büsche direkt an den Blumen klebten, da ich mir dort einige Mantiden erwartete, von denen ich bis dato noch gar nichts mitbekommen hatte (recht ungewöhlich, da es zu dieser Jahreszeit auf den Brachflächen davon eigentlich nur so wimmelt…)
Aber auch hier leider Fehlanzeige. Zwischendurch immer mal was trinken und Fotos machen.
Als ich gerade am Hang nach ein paar Macroglossum balancierte (übrigens die größten M. stellatarum die ich bis dato gesehen habe, Riesenvieher! Nahm zwei Sück mit, befinden sich momentan auf dem Spannbrett, wenn sie fertig sind stelle ich mal ein Bild zum Größenvergleich ein…) – brummte plötzlich hinter mir ein schwer verkennbarer Akzent: „Nää moin, main Jung, alläs klor bai dieer? Ich war so in meiner Konzentration dass ich dermaßen erschrak und fast vom Hang gekippt wäre. Als ich mich umdrehte stand hinter mir die Quelle des Brummens und beobachtete mich teils interessiert – teils ein wenig mitleidig – ein älterer, etwas untersetzter Fischkopf (glaube das ist die politsch korrekte Bezeichnung für die Nordeutschen…) in Unterwäsche mit Morgenmantel und Kaffeetasse (war ja auch erst um 12 Uhr…) vor seinem deutschen Wohnmobil, wie ich jetzt erst erkannte…
Mir steckte der Schreck noch in den Knochen, aber die ganze Szene war dermaßen seltsam dass ich anfangen musste schallend zu lachen, was der arme Mann aber leider missverstand und sich, sowas wie „unfreundliches Franzosenpack“ murmelnd, schnell wieder in seinen Caravan zurückzog, ehe ich irgendwas auf Deutsch sagen konnte.
Ich beschloss diesen Platz zu verlassen, hatte ja auch alles gesehen was ich wollte, packte die machaon und den Rest zusammen und zog weiter.
Ich folgte der asphaltierten Kammstraße kurz unterhalb der umliegenden Gipfel. Wetter und Ausblick waren wirklich fantastisch.
Die beiden Ränder neben der Straße waren sehr artenreich bewachsen und ich konnte viele weitere Falter und Insekten entdecken. Ab und zu passierte die Straße große, ebene Ausbuchtungen, auf die man wohl vor einigen Jahren große Berge an Schieferbruchmaterial geschüttet hatte, diese Schutthalden waren nun teilweise recht gut bewachsen mit verschiedenen Gräsern, kleinen Pinus, Birken, Heide, Ginster, Skabiosen, Brombeergebüsch usw. Ich hielt bei einigen an und fand eine artenreiche Insektenfauna.
Einige ältere Schieferbruch-Aufschüttungen säumten die Straße und weckten meine Aufmerksamkeit
Acronicta rumicis Raupen, L4 und L5
Zygaenidae, wer weiß welche?
Aulocera circe? (aufgrund der zweiten inneren weißen Binde auf den Hf, Unterseite...)
Als ich gerade mit dem Fotografieren eines Bläulings auf einer Heidepflanze beschäftigt war (Bläulinge waren mir ein sehr beliebtes Fotomotiv da sie sehr ruhig und lange saugten oder einfach nur in der Sonne saßen und es mir dadurch auch mit dem Fotohandy erlaubten ausreichend nah heran zu kommen, Zoom war eher begrenzt und der gute Fotoapparat machte langsam schlapp…) – entdeckte ich beim Fokussieren auf dem Display wenige cm unterhalb des Bläulings eine große grüne Bewegung – endlich die erste Mantis religiosa, ein großes schönes Weibchen welches ich hier gerade mitten im Anschleichen störte. Nun, wo eine ist, da sind auch zwei sagte ich mir und ging nochmal rein ins Gebüsch, musste auch keine zwei Schritte laufen um die nächste zu finden, diesmal an einer Skabiose wieder unterhalb der Blüte um anfliegende Insekten zu erbeuten; auch hier hatte ich kurz zuvor schon ein Foto von der Zygaeniden gemacht, ohne dass mir die Mantis aufgefallen wäre.
Auch diese Art konnte ich nun also von meiner Wunschliste abhaken und machte mich wieder auf den Weg.
Lycaenidae, bestimmbar?
Mantis religiosa Weibchen
Als ich mich gerade in Bewegung setzte verspürte ich ein leichtes Krabbeln an der Wade, beim Hinunterfassen hatte ich plötzlich ein winziges Tierchen auf der Hand sitzen, nur etwa 1 cm groß, mit kleinen kräftigen, jedoch merkwürdig zurückgewinkelten Fangarmen, einem plumpen, dreieckigen Kopf, kurzen Stummelfühlern und schönen, netzartig bespannten Flügeln.
Die Art war mir gänzlich unbekannt, aber aufgrund der Fangarme schloss ich natürlich auf eine weitere Mantide, auch wenn mich die klaren, netzartigen Flügel, welche eher an Florfliegen oder andere Neuropteren erinnerten, irritierten. Für den Kamerafokus war das Tierchen leider zu klein – daher nahm ich es einfach mit.
Heute weiß ich dass ich da einen sog. Fanghaft, der Gattung Mantispa gefunden habe (oder besser er mich). Das Tier starb leider 3 Wochen später zurück in Deutschland, ich hoffe ich finde es noch irgendwo um wenigstens noch ein Foto nachschieben zu können… :unsure:
Auf der Straße wanderte ich weitere 2 Stunden, immer in Serpentinen die Berghänge hinauf oder hinab, laut Kartenfunktion befand ich mich gegen 15 Uhr dann irgendwo in Nähe der 1200 Meter.
Die Strecke an sich war sehr schön, wenn auch nicht sehr abwechsungsreich, aber ich konnte viel beobachten und die einsame Stille irgendwo im Massif central genießen. Naja – Ruhe im Sinne dass aller paar Minuten ein dröhnendes Motorrad an mir vorbeidonnerte, ich konnte es den Jungs nicht verübeln, die Strecke ist wie dafür gemacht und da es kaum Autos gab konnten die auch mal richtig Gas geben…
Aber nach 5 Stunden fand ich es nur noch nervig und suchte einen Weg weg von der Straße.
Erstes Indiz für Larvenstadien p.machaon, das Bergklima verlangsamt das Wchstum sodass die Tiere der 3. oder vllt. 4 Generation wie in Italien noch nich geschlüpft sind
Ein weiteres Manko: meine eigentliche Aufgabe, einige Euphorbien auf Fraßspuren oder Tauglichkeit zu untersuchen (mehr hatte ich mir ja gar nicht vorgenommen! Man will ja auf dem Teppich bleiben… ) – hatte eine entscheidende Schwachstelle: auf den bisherigen 12 Kilometern fand ich nicht eine einzige(!) Euphorbia…
Auf der Fahrt mit dem Zug hier hoch hatte ich an den Berghängen links und rechts direkt an der Bahntrasse etliche schöne Bestände vorbeihuschen sehen, die großen ausladenden Euphorbia characias erkennt man mit ihren fleischigen, 70 cm hohen Stängeln auch bei 100 kmh aus einen fahrenden Zug heraus ganz gut. Aber hier nun absolute Fehlanzeige.
Weit und Breit keine Euphorbien...
Ich beschloss die Straße auf einen der wenigen Nebenwegen zu verlassen (im Nachhinein einer der größten Fehler dieses Urlaubs…) um doch noch meinem Ziel näher zu kommen.
Kurz darauf wurde die Landschaft auch viel offener und der felsige Untergrund kahler was mich positiv stimmte, da ich das Fehlen der Euphorbien vor allem auf die dichte, flächendeckende Bewaldung der Hänge schob. Es gab zwar auch nackte Stellen, überhalb der Baumgrenze in Gipfelnähe, aber um dorthin zu gelangen, also weitere 300 Höhenmeter zu überwinden, fehlte es mir leider an Zeit und Wegen (beides ein häufiges Problem meiner Reise, und wer denkt ich wäre mir vielleicht zu fein gewesen einfach mal die Wege zu verlassen und Querfeldein weiterzulaufen dem sei gesagt dass die Wälder hier etwas anders aussehen, da kann man nicht einfach wie bei uns zum Pilze suchen mal eben quer durch den Wald, das Unterholz ist hier teilweise unglaublich dicht, dazu noch die Steigung der Hänge, gerne mal über 40% oder gleich schroff abfallend…).
Nach dem Abiegen auf eine kleinere Nebenstraße sieht die Gegend offener und vielversprechender aus. Leider trügt der Schein
Mir blieb also nichts anderes übrig als in der Waldzone nach großen, offenen Flächen zu suchen, die dann auch noch in der Nähe von Wegen liegen.
Nach einer weiteren Stunde führte meine kleine Straße von den lichten Kuppen weg direkt rein in den tiefsten Wald, aus dem ich an diesem Tag auch nichtmehr herauskam, soviel vorweg.
Die Euphorbiensuche hatte sich damit im Grunde erledigt. Das trübte meine Stimmung ehrlich gesagt ein wenig, denn auch wenn mir klar war dass ich an den Wolfsmilchpflanzen - wenn ich den welche gefunden HÄTTE, höchstwahrscheinlich nicht weiter fündig geworden wäre – so hoffte der kleine optimistische Ehrgeizling in mir natürlich insgeheim immer noch auf den schnellen, überragenden Fund des Jahres!
Ich konnte ihn nur immer wieder beschwichtigen dass ich einen wunderschönen Tag erlebt hatte, viele Arten finden konnte und mehr ja auch nicht vorhatte…
Der undurchdringliche Bewuchs lässt kaum Luft für sonnige und Ruderalstandorte liebende Euphorbien. Stattdessen gedeihen Schattenpflanzen
Was nun aber folgte war kein würdiges Ende dieses Tages, etliche Male verlief ich mich, stolperte in Sackgassen oder ohne Ankündigung mitten im Nichts endende Wege. Zwei Stunden verplemperte ich so ohne richtigen Raumgewinn da ich immer wieder zurückmusste oder mich so durchschlug. Dann endlich erreichte ich eine kleine, aber sehr neu wirkende Serpentinenstraße, die endlich auch mal wieder auf der Karte verzeichnet war und wenigstens links und rechts kahle Böschungen aufwies. Doch inzwischen war es bereits 19 Uhr und am Horizont war eine leichte Dämmerung zu erkennen. Also beschleunigte ich meinen Schritt der Straße folgend und machte mir langsam mal Gedanken über mein Nachtquartier.
Nebenbei konnte ich noch ein paar Sachen finden u.a. ein Raupennest. Auch solche seltsamen Gespinste in den Kiefern wie einige Stunden zuvor sah ich wieder.
Endlich wieder ein guter, in den Karten verzeichneter Weg. Schöner Heidebewuchs auf den kahlen Hängen, leider war es schon zu spät für nährere Untersuchungen
Suchbild! Endlich gelingt es mir einer der Heuschrecken mit den hellblauen Hinterflügel (Italien) zu fotografieren. Oedipoda caerulescens?
Solche Gespinnste in den Kiefern hab ich mehrere finden können, sehr feste Dinger... Weiß jemand was das ist? Ein Raupennest entdekcte ich auch noch, vermutlich Melitaeinae, Euphydryas, womöglich sp. aurinia
Gegen 20 Uhr wurde es nun wirklich sehr dämmrig ohne dass ich eine Idee hatte wo ich campieren sollte…
Das nächste Dorf auf der Karte lag irgendwo im Nichts, Luftlinie etwa 5 km, aber ich hatte ja nun so meine Erfahrungen mit der Gegend hier… Der nächste Ort, glücklicherweise auch mit Bahnhof (denn ich musste ja auch an meine Weitereise denken) war mit „nur“ 10 km Entfernung vermerkt (klingt komisch aber in dieser dünn besiedelten Landschaft hier unten gibt es auch Gebiete von 50 x 50 Kilometern durch die keine einzige gute Straße oder Zugstrecke führt) und sah recht erfolgversprechend aus, sogar mit Campingplatz. Allerdings bezweifelte ich dass ich noch so weit kommen würde.
Ich lief weiter bis mich die Dunkelheit umhüllte und suchte mir dann notgedrungen eine relativ ebene Ausbuchtung nahe der Straße am Abhang. Als ich gerade mein Zelt aufbaute vibrierte mein Handy – Akku bei 15%, fast leer… Diese Smartphones sind zwar toll aber eben schnell alle. Ich hatte meins den ganzen Tag als Navi und Fotoapparat genutzt, das war nun die Quittung.
15% reichen eben noch ein paar Stunden, aber am nächsten Morgen wäre es aus gewesen, ich stünde mitten in den französischen Bergen, ohne Möglichkeit der Navigation, Kilometer weit entfernt von der nächsten Ortschaft. Ich überdachte meine Situation, packte schließlich wild fluchend (war ja eh keiner da… ) mein Zelt wieder ein und lief bei Taschenlampenschein los, auf der Suche nach einer Steckdose. :wacko:
22 Uhr erreichte ich heilfroh einen Wegweiser zu meinem Ort mit dem Bahnhof und Campingplatz, noch 3 Kilometer. :blink:
Ein riesiges fettes Bufo bufo Weibchen stellte sich mir auf der Straße ins Camp in den Weg
Ich habe gewiss kein Problem damit allein zu wandern, ob nun im Hellen oder eben Dunklen, aber hier oben wurde mir schon ein wenig mulmig im Bauch. Der Umstand völlig einsam im stockdunkeln nur beim Licht des kleinen Taschenlampen-Kegels einen Meter vor mir, in einem wildfremden Gebiet weit weg von irgendwelchen anderen Menschen und 1200 km entfernt von zu Hause, ist schon gewöhnungsbedürftig.
Ich denke für uns Deutsche ist es schon seltsam in der Nacht irgendwo zu sein, wo man weit und breit keine einzige Straßenlampe oder anderes künstliches Licht oder auch nur die entfernte Lichtemission einer Stadt am Himmel darüber sehen kann…
Ich erreichte müde und abgekämpft die kleine Ortschaft, errichtete mein Lager gegen 23 Uhr und meldete mich an der Rezeption, natürlich konnte wieder keiner englisch, aber inzwischen kam ich ganz gut zurecht damit.
Nur die erstaunten Blicke der Franzosen, dass nicht jeder Mensch auf der Welt perfekt fließend Französisch spricht konnte ich nicht ab, da sind die doch sehr eigen.
Als ich in den Waschräumen nach einer Steckdose suchte, konnte ich gleich noch die Vorzüge der ansonsten nervigen Lichtarmut der Umgebung sehen, die einzige helle Lampe weit und breit zog für europäische Verhältnisse Unmengen Insekten an, die Wände der Duschräume waren übersät mit Faltern, Heuschrecken, Wanzen, Käfern etc.
In meiner Duschkabine entdeckte ich als Abschlusshighlight des Tages dieses schöne Arctiinae Männchen, vielleicht kann es jemand bestimmen, ich tippe mal auf Cymbalophora pudica.
Cymbalophora pudica Männchen? Wer kann die Raupe bestimmen?
Gegen Mitternacht verkroch ich mich schließlich in mein Zelt.
Bis 03 Uhr morgens war der Himmel sehr klar, dementsprechend wurde es hier oben auf 1200 Meter entsetzlich kalt, das stellte alles Frieren der bisherigen Nächte nochmal ganz locker in den Schatten. Half aber nichts.
Ab 03 Uhr kam Wind auf und es bewölkte sich schnell sehr stark. Ca. 04 Uhr begann ein dermaßen starkes Unwetter (mal wieder…) dass mir Angst und Bange um mein Zelt wurde, die Seiten wurden so weit eingedrückt dass sie immer wieder knapp über meinem Kopf zusammenschlugen während ich auf meiner Luftmatratze vor mich in zitterte.
Also nochmal fix raus, ein weiteres Dutzend Heringe um das Zelt verteilt, und schnell wieder rein… War trotzdem zu allem Überfluss sofort klitschnass bis auf die Knochen, so stark war der Regen.
Während der Donner über mir stundenlang krachte fand ich nur wenig Schlaf, eindeutig die schlimmste Nacht der ganzen 2 Wochen.
Gegen 07 Uhr verschwand der Spuk schnell wie er gekommen war und hinterließ einen Sonnenaufgang am strahlend blauen Himmel.
Der Wind jedoch verstärkte sich jedoch wieder zu orkanartigen Böen, sodass ich eine Stunde vor meiner Abreise nochmals Heringe verteilen musste um im Zelt überhaupt eine Chance zu haben mein Zeug einzupacken.
Gegen 08 Uhr gings zum Bahnhof und wieder zurück Richtung Küste.
Auf dem Weg zum Bahnhof. Strahlend blauer Himmel, guter Blick auf die umliegenden Gipfel, als wäre in der Nacht nichts gewesen
Eigentlich hatte ich geplant noch einen weiteren Tag hier in der Nähe zu verbringen, doch nach weiterer Absprache mit Rudi beschloss ich dieses Vorhaben ad acta zu legen da man ohne Auto hier einfach nicht zielführend dahin kommt wo es sich auch lohnen könnte.
Also fuhr ich über Montellier, Sete, Adge, und Narbonne nach Frontignan.
Die Landschaft hier ist sehr flach und die Küste vermischt sich bei weit ins Hinterland wie kleine Fjorde. Dabei entstehen salzige Schwemmgebiete und niedrige Lachen nährstoffreichen, konzentrierten Meerwassers, die durch Mineralsalze und mengenweise winziger Crustaceen sehr bunt gefärbt sein können (meist aber rötlich). In diesen flachen Salzseen hab ich einige sehr große Flamingokolonien sehen können, auch ein tolles Erlebnis!
Flaches Hinterland irgendwo zwischen Montellier und Perpignan. Im Hintergrund verschmelzen die äußersten Ausläufer des südlichen Ztralmassiv mit den nördlichsten Anfängen der Pyrenäen.
Flachwassersalzseen im tiefeingeschnittenen Hinterland bei Sète bis Narbonne. Die konzentrierten Schwemmgebiete sind von Mineralen und Kleinkrebsen stark gefärbt und bieten Nahrung + Lebesraum für einige große Flamingokolonien
Der letzte Bahnhof in Frankreich, direkt an der Küste, heißt Cerbère und verlangt nochmal einen Umstieg. Hier gibt’s sogar noch eine Passkontrolle im Zug. Gegen 18 Uhr passierte ich also die nächste Grenze, nach Spanien. Hier verbrachten wir nochmal eine knappe Woche, aus meiner Sicht mit den eigentlichen entomologischen Highlights und Wunscharten, um den Spannungsbogen noch ein wenig oben zu halten.
Dazu aber mehr in Teil 3, sobald ich diesen fertig gestellt habe.